Wir freuen uns auf Ihre Nachricht!
zurück

02.11.2014 Überlebt!

Liebe Leser, das war vielleicht ein spektakulärer Tag heute. Sie wissen ja - mein erster Flugtag.

Unbändige Freude wurde gestern Abend schon durch die Ernüchterung abgelöst, dass Gleitschirmfliegen viel gefährlicher ist als dachte. Beim Abendessen gaben sich Floh (mein Mann) und Jodok (unser großer Sohn) alle Mühe, auch noch die letzten haarsträubenden Möglichkeiten eines Absturzes in Worte zu fassen.

Während Thomas (unser jüngerer Sohn, der ebenfalls mitflog) noch lachte, wurde es mir schon komisch. Dass der Schirm plötzlich zusammen klappen könnte, ein paar Seile reissen oder eine Windböe uns an die Felswand schmettern könnte - gut - das hatte ich schon irgendwann einmal in der Zeitung gelesen. Viel gefährlicher erschien mir die Aussicht, dass der Guide einen Herzinfart bekommen könnte und wir minutenlang führerlos umherirren, bevor wir abstürzen.

Als ich ins Bett ging, schätzte ich vorsichtig optimistisch eine sichere Landung auf 80 %.

Heute war ich schon früh wach - schon vor 6 Uhr stand ich auf, brachte meine Sachen in Ordnung (... man weis ja nie...) und sah schon den Horizont - ...alles in Ordnung. Eine sternklare Nacht verschwand und ich streckte meinen nassen Finger in die Luft - kein Windhauch! Also waren schon mal keine Turbulenzen zu erwarten!

Während des Mittagessens googelte Jodok dann im Internet nach der Unfallstatistik. Die Zahlen beruhigten... oder nicht? 1,07 Prozent Gletischirme verunfallen - davon 14 % beim Start, 11 % bei der Landung, 42 % wegen falscher Einschätzung der Wind- und Wetterverhältnisse, 3 % Kollision mit anderen Fluggeräten... den Rest habe ich gar nicht mehr mitbekommen, so haben meine Ohren gesaust. Floh hat mir gleich angesehen, dass ich beinahe noch die Flüge storniert hätte und als ich wieder einen meiner zahlreichen Toilettenbesuche des heutigen Vormittags antrat, da las er unserem Großen mal ordentlich die Leviten!

Inzwischen bewertete ich die Überlebenschance auf unter 10 %.

Als ich mich trotzdem flugfertig anzog, da sagte ich zu den Anderen: "Hoffentlich haben die am Start ein Dixie-Klo". Unser Kleiner meinte lakonisch: "das ist bereits in Deinem Overal eingebaut".

Meine Schwiegereltern meldeten sich zwischenzeitlich auch noch zu unserer Verabschiedung an und auch mein Vater wollte sich dieses Ereignis nicht entgehen lassen. Also starteten wir mit dem ganzen Fanclub nach Oberstdorf.

In meinen Augen war der Luftraum total überfüllt - das perfekte Wetter und der letzte Öffnungstag der Nebelhornbahn lockte alle Gleitschirmpiloten auf den Berg. Na bravo! Ich zählte 13 Schirme auf engstem Raum. Zum Glück mussten wir noch ein bisschen warten - so konnten die anderen erst Mal landen, damit wir in der Luft überhaupt Platz haben (sie wissen ja - 3 % knallen zusammen!).

Endlich war es so weit und die 3 Jungs gaben uns gleich mal jedem einen Riesen-Rucksack zum tragen. Mit 43jähriger Menschenkenntnis versuchte ich den vertrauenswürdigsten Piloten für mich zu ermitteln, aber alle 3 machten einen lebenslustigen, erfahrenen und völlig entspannten Eindruck.

Mit der Nebelhornbahn ging es auf die Station Höfatsblick zum Startplatz. Hier war richtig was los und während unsere Guides die Schirme ausbreiteten und die Schnüre sortierten, hingen auf der Sonnenterrasse über uns die Zuschauer über dem Geländer und beobachteten die Szene. Karin - meine Schwester - wurde zwischenzeitlich von ihrem Piloten in die Geheimnisse des Starts eingewiesen und musste zur Probe auf Kommando losrennen, während er sie mit aller Macht festhielt. Das war wirklich zum lachen und ich vergaß ganz meine Aufregung.

Dann wurde sie angeschnallt und nach dem Kommando drei, zwei, eins, laufen, laufen, laufen.... rannten die Beiden den Buckel runter und waren auch schon in der Luft. Als zweites kam Thomas an die Reihe - auch hier klappte alles Bestens.

Michael Knipping war ja mein Guide und als ich mich sicherheitshalber noch schnell erkundigte, wie lange er das schon macht, da konnte er mich mit 16 aktiven Jahren, einigen tausend unfallfreien Flügen, einer staatlichen Prüfung als Gleitschirmlehrer und dem 3. Platz bei den Kunstflug-Weltmeisterschaften (hoffentlich habe ich es so richtig wiedergegeben) nicht nur beruhigen, sondern auch beeindrucken.

Alles klar - es konnte los gehen! Ich stellte mich schon ein bisschen doofer an und als wir losrannten, da dachte ich plötzlich, wir wären schon in der Luft und wollte mich gerade hinsetzen, als Michael immer noch das Kommando: "laufen, laufen, laufen" gab. Ich war ja schon in der Luft nur er noch nicht und so zappelte ich einfach weiter.

Ein kleiner Ruck - und dann schwebten wir plötzlich. Mein Vater hat vorhin gesagt, ich hätte ganz laut gelacht - ich war natürlich total glücklich - die ersten 14 Prozent Absturzgefahr hatte ich schon hinter mir. Ich hatte mir ja schon vorgestellt, dass es ziemlich gut sein wird, aber in Wirklichkeit war es grandios. Der Wind um die Nase (wir flogen ca. 40 km/h), rechts die Felswand und unter uns zuerst die Seealpe und dann das breite Becken von Oberstdorf mit der Schanzenanlage und der Erdinger Arena.

Wow! Die Gleitschirmfirma heißt "Vogelfrei" und dieser Name ist einfach perfekt für das Gefühl heute.

Ich fand es am schönsten, ganz nah am Hang zu fliegen und so kreisten wir einige Male nur knapp über den Baumwipfeln. Obwohl inzwischen ein paar Fetzen die Sonne bedeckten, konnten wir noch ein bisschen Thermik spüren und dann ging es jedes Mal mit einem kleinen hubbs aufwärts. Die ganze Zeit habe ich mich absolut sicher gefühlt, der Sitz ist total gemütlich und man konnte sich prima mit Michael unterhalten. Die Aufregung war weg und dieses tolle Fluggefühl war ein Erlebnis, an das ich mich ein Leben lang erinnern werde.

Michael fragte, ob ich Lust auf ein bisschen mehr "Schmackes" hätte - klar hatte ich das. So gab er mir die Kamera in die Hand und auf sein Kommando legte ich mich mit ihm gemeinsam mal rechts und mal links in die Kurve. Huiii - Oberstdorf drehte sich wie wild und wir nahmen rasant an Geschwindigkeit zu. Ich spürte den plötzlichen Druck auf den Körper und den Magen und fühlte mich wie in der Achterbahn.

Nun waren wir auch schon knapp über dem Landeplatz und er zog an den Schnüren zur Landevorbereitung. Wie eine Feder schwebten wir auf das Grün zu (und straften damit die 11 % Absturzquote  bei der Landung!) und bums waren wir schon wieder unten.

Inzwischen sind einige Stunden vergangen - ich schwebe noch ein paar Zentimeter über dem Boden und es war mit Sicherheit eines der spannendsten Abenteuer meines Lebens. Ich bin sicher - das war noch lange nicht mein letzter Flug!

Vielen Dank an meinen Piloten Michael Knipping, an Manuel Nübel (der Pilot von Thomas) und an den Guide von meiner Schwester Karin (leider weis ich den Namen nicht). Es war super!

Die nächsten Tage stelle ich noch mehr Bilder ein und am nächsten Wochenende kann ich auch das Video von heute hochladen.

Gute Nacht! Ihr Gleitschirm-Copilotin Regine